«Aargauer Behindertenstiftungen spannen zusammen» (AZ)

Die neu gegründete Firma Learco soll den Weg in den Arbeitsmarkt für Menschen mit Handicap einfacher machen.

Bild zum Artikel über den Lehrverbund Learco

Dominic schmunzelt verlegen, als ihn Monika Landmann beim Fotografieren für die Zeitung zum Lächeln animiert. Dominic ist 20 Jahre alt und macht gerade die ersten Schritte in seiner beruflichen Laufbahn: «Ich hoffe, es klappt», sagt er über die Lehrstelle, für die er sich beworben hat. Das Schnuppern im Detailhandel hat ihm gefallen.

Wenn alles gut geht, startet der junge Mann mit algerisch-schweizerischen Wurzeln im August eine zweijährige Ausbildung in der Privatwirtschaft. «Ich habe seit Geburt eine Halbseitenlähmung», ergänzt er. Dominic steht beispielhaft für die jungen Menschen, die trotz Handicap mit Unterstützung von Institutionen wie der Stiftung Lebenshilfe und Job-Coaches eine Ausbildung im ersten Arbeitsmarkt angehen.

Von der Invalidenversicherung wurde er hierher überwiesen. Seit fünf Monaten wird der junge Mann in der Ausbildungsstätte der Stiftung Lebenshilfe in Menziken auf den Berufseinstieg vorbereitet. Nebst praktischen Übungen wie dem Erlernen des 10-Finger-Systems, kümmern sich Job-Coaches um Dominic und unterstützen ihn beim Bewerbungsprozess.

«Die Möglichkeit, eine Ausbildung absolvieren zu können, bedeutet für die Lernenden Bestätigung, Teilhabe und Wertschätzung», sagt Monika Landmann. Die 54-Jährige ist bei der Stiftung Lebenshilfe seit drei Jahren Bereichsleiterin der beruflichen Integration, arbeitet aber bereits seit Jahrzehnten mit Menschen mit besonderen Anforderungen.

Mit ihrer freundlichen und zuversichtlichen Art wirkt sie, als hätte sie die besondere Gabe, Menschen aufzubauen. «Gell Dominic, wir dürfen zeigen, wenn wir Freude empfinden», sagt sie zum jungen Mann, ehe sie in die Werkstatt läuft.

Bessere Chancen bei Ausbildung im ersten Arbeitsmarkt

Ab dem 1. August übernimmt Monika Landmann eine neue Aufgabe: Sie wird Leiterin der neu gegründeten Aargauer Firma Learco (Lernen, Arbeiten, Coachen) mit Hauptsitz in Aarau. Nebst der Stiftung Lebenshilfe haben sich für die Kooperation die drei Aargauer Stiftungen Orte zum Leben aus Lenzburg, Domino aus Hausen und die arwo Wettingen zusammengeschlossen. Gemeinsam verfolgen sie das Ziel, jungen Menschen mit Handicap, die es oft nicht schaffen, eine Lehre zu finden, passende Ausbildungsplätze möglichst in ihrer Wohnnähe anzubieten, entweder bei den Stiftungen selber oder in der Privatwirtschaft. Obwohl Ausbildungsmöglichkeiten intern bei den Partnerbetrieben der Learco AG bestehen, versuchen die Verantwortlichen, den jungen Menschen eine Berufsausbildung im ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen: «Das verbessert die Aussichten der Betroffenen, danach auch einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft zu finden», sagt Monika Landmann.

Die Idee einer Zusammenführung mehrerer Institutionen entstand aus einer Problematik heraus: Die Invalidenversicherung im Kanton Aargau, welche die jungen Menschen bei ihren beruflichen Erstausbildungen finanziell unterstützt, kann aus einem Angebot von Ausbildungsplätzen auswählen. Dies ist für die Jugendlichen vorteilhaft, führte aber bei den einzelnen Stiftungen zu starken Schwankungen in der Auslastung. «Durch den Zusammenschluss der vier Stiftungen können wir dies besser ausgleichen», erklärt Landmann.

Learco könne den Jugendlichen durch die Kooperation der vier Aargauer Stiftungen ein breiteres Angebot an Lehrstellen in verschiedenen Berufen in verschiedenen Regionen anbieten. Ausserdem könne die berufliche Integration der Jugendlichen durch ein genügend grosses Team an Job-Coaches aus den vier kooperierenden Stiftungen unterstützt werden, sagt Landmann.

Learco unterstützt sowohl Lernende als auch Arbeitgeber

Learco bietet für Jugendliche mit Handicaps ab dem 1. August Lehrstellen in vielen verschiedenen Berufen an. Die Lernenden können sowohl betriebsintern als auch in der Privatwirtschaft Ausbildungen unter anderem im Betriebsunterhalt, im Detailhandel, im Gartenbau, in der Hauswirtschaft oder auch in der Hotellerie absolvieren. Die Dauer der Eingliederungsmassnahmen hängt von der Dauer der von der Invalidenversicherung verfügten Massnahme ab. Die praktische Ausbildung und die Ausbildung mit dem eidgenössischen Berufsattest dauern zwei Jahre. Die Ausbildung mit dem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis dauert drei Jahre. Learco organisiert bei internen Ausbildungen Arbeitseinsätze in verschiedenen Firmen und begleitet die Ausbildung in Betrieben im ersten Arbeitsmarkt mit Job-Coaches. Sowohl Lernende als auch Arbeitgeber werden von Learco unterstützt.

Es ist kurz vor Mittag. In der Werkstatt der Stiftung Lebenshilfe arbeiten zahlreiche Erwachsene an Kundenaufträgen, sei es das Umetikettieren von Produktschachteln, das Herstellen von Finken oder auch diverse Arbeiten mit Holz. «Die berufliche Integration beschränkt sich nicht nur auf die Jugendlichen, sondern erstreckt sich auch auf die Wiedereingliederung, Integration und Umschulung von Erwachsenen. Das wird auch bei Learco so sein», sagt Monika Landmann.

Viele Menschen, die hier sind, wurden durch Schicksalsschläge aus ihrem Lebens- und Arbeitsalltag gerissen. Hier wird ihnen geholfen, in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. In der hauseigenen Schreinerei schleift Bruno Grimm im Kundenauftrag beispielsweise eine 100-jährige Holztruhe ab. Draussen vor der Schreinerei stapeln sich handgemachte Weinkisten aus Holz.

In einem Nebenzimmer der Werkstatt zeichnet Katrin Büter für einen Kunden Flammen für ein Bühnenbild, das später aus Holz gefertigt wird. Nach einer Erkrankung und einem längeren Spitalaufenthalt verlor die Pflegerin sowohl ihre Stelle als auch ihr Selbstvertrauen. Seit sechs Monaten besucht sie eine Massnahme bei der Stiftung. Nun fühlt sie sich fit genug, um wieder in den Beruf zurückzukehren: «Ich bin hier durch die Förderung richtig aufgeblüht», sagt sie. Ihr Ziel sei es, beispielsweise in einem Demenzzentrum zu arbeiten und Aktivierungsübungen mit den Patienten durchzuführen oder wieder in der Pflege zu arbeiten.

Die Kooperation zwischen den vier Stiftungen sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, sagt Landmann: «Sie zeigt auf, wie vielen Menschen die berufliche Integration von Menschen am Herzen liegt.» Neben den vier Geschäftsführern der beteiligten Gründerbetriebe ist mit Peter Zubler von der Baufirma Zubler AG in Aarau auch ein Verwaltungsrat aus der Wirtschaft aktiv bei Learco. «Wir werden mit Learco aufgrund ihrer Grösse die Möglichkeit haben, mehr Betriebe aus dem ersten Arbeitsmarkt anzusprechen.»

Persönlich hofft die zukünftige Geschäftsführerin, dass sich immer mehr Betriebe aktiv an der beruflichen Integration von Menschen mit einem speziellen Förderbedarf engagieren. «Dafür braucht es eine offene Kultur im Betrieb, die es diesen Menschen ermöglicht, sich einzubringen und zu lernen. Auch wenn körperliche oder kognitive Einschränkungen vorhanden sind.»

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(Abrufdatum 19.07.2019)